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Auf und ab...

... ging es für Rudolf Kuhl (Text und Fotos) im Dreiländereck von Kärnten, Slowenien und dem Friaul. Was ja auf einer Motorradreise durchaus wünschenswert ist – wenn es nicht völlig überraschend und ungewollt passiert.

Ein Alpensommer, und was für einer. Der heiße Asphalt vor den Rädern unserer Bikes zeichnet flirrende Zerrbilder in die Luft. Nur gelegentlich beugen sich alte Bäume Schatten spendend weit über die Straße. Für wirkliche Abkühlung kann da nur ein Bad in der Soča sorgen. Ihr glasklares Wasser tobt schon seit vielen Kilometern gleich neben der Straße rauschend und schäumend zu Tal. Doch leider zeigt uns der schönste und imposanteste der slowenischen Gebirgsflüsse die kalte Schulter in Form einer steilen und abweisenden Uferböschung.

Aber wir sind zwei listige Gesellen. Wir werden schon den passenden Platz finden, wo es sich im herrlich kühlen Bergwasser der Soča plantschen lässt. Eine der seltenen Brücken bietet sich an, die andere Uferseite zu inspizieren. Schnell ist jedoch klar, dass wir auch dort nicht ohne Klettereinlage zum Zuge kommen. Also wenden und dann weiter.

Friedl steht mit der GS auf der Kuppe eines nur wenige Meter langen Anstieges des schmalen Kiesweges schon wieder in Fahrtrichtung. Ich ziehe ein wenig vor, um die leichte Steigung des Weges in bewährter Manier zum lässigen Rückwärtsrollen beim Wenden zu nutzen. Geht auch wie beabsichtigt ganz lässig – zunächst jedenfalls. Doch dann beginnt in meinen Kopf ein äußerst merkwürdiger Dialog: »Müsste das Hinterrad jetzt nicht gegen die Böschung rollen?«

»Ja klar!«

»Und warum tut es das nicht endlich?«

»Keine Ahnung, aber da ist eine Böschung, ich hab’s aus beiden Augenwinkeln gesehen!«

»Aber es geht immer noch rückwärts. Wie lange noch, und was könnte der Grund dafür sein? Wäre es etwa an der Zeit, sich in irgendeiner Form Sorgen zu machen?«

»Wenn ich das richtig mitkriege, dann geht es inzwischen gar nicht mehr rückwärts, sondern sogar abwärts – Sorgen machen, aber hallo!«

Der Mann mit dem sorgenvollen Blick ist nicht der Fahrer, aber der Besitzer
Der Mann mit dem sorgenvollen Blick ist nicht der Fahrer, aber der Besitzer

Einer wie eine Ewigkeit scheinenden Zeit der Sprachlosigkeit folgt ein dumpfer Schlag.

So ganz langsam bin ich wieder in der Lage, die Wirklichkeit wahrzunehmen, die sich folgendermaßen darstellt: Ich sitze ordnungsgemäß auf dem Motorrad, die Hände am Lenker, nur dass das Vorderrad absolut senkrecht gen Himmel steht. Dicht vor mir, rechts und links neben mir graue und bemooste Mauersteine. Mein Rücken mit dem Fotorucksack ist angelehnt an – ich weiß nicht was. Aber ganz ehrlich: Gesessen habe ich schon deutlich schlechter!

Da taucht oben, direkt neben dem Vorderrad, das recht blasse Antlitz von Friedl auf. »Sch… aber auch, bist du okay?«

Mit der Entgegnung: »Wage es bloß nicht, jetzt den Fotoapparat herauszuholen« dürfte diese Frage wohl eindeutig beantwortet sein.

Friedl klärt mich dann trotzdem darüber auf, was Sache ist. Und die stellt sich so dar: Ich habe es tatsächlich geschafft, die BMW R 1200 C absolut senkrecht in einem rund siebzig mal siebzig Zentimeter messenden Schacht für Regenwasser zu »parken«. Peinlich, peinlich, denn es handelt sich zu allem Überfluss auch noch um Friedls Motorrad.

Und dabei hat alles so gut angefangen. Erst gestern sind wir, meine Frau und ich, bei Friedl, seines Zeichens TF-Hotelier im »Treffnerhof« nahe bei Villach, eingetroffen. Ausnahmsweise mal auf vier statt zwei Rädern. Die Zimmer im »Treffnerhof« sind zwar alle besetzt, trotzdem drückt Friedl mir einen Schlüssel in die Hand. Nämlich den seiner altgedienten R 1200 C. Mit dem Kommentar: »Die kommt, seitdem ich die GS habe, sowieso viel zu selten auf die Straße.«

Dann greift er zum Telefon und macht ein Ferienhaus auf einem Bauernhof für uns klar. In Arriach, der kleinen Gemeinde, die sich rühmen darf, exakt im geografischen Mittelpunkt Kärntens zu liegen.

Wenig später geht mir wieder mal auf, wie viel schöner es doch auf zwei Rädern ist. Unter mir brummt sonor der dicke Zweizylinder vor sich hin. Rechts der Straße grüne Wiesen mit wie von Riesenhand darübergestreuten windschiefen Heuhütten und immer wieder kleine und große Inseln aus Kiefern- und Lärchenwäldchen. Hier und dort lugt eine silberne Felsnase aus dem Grün hervor, und hoch oben strahlt ein Himmel, wie er blauer nicht sein kann.

Links von mir der Ossiacher See. Einer der vielen Kärntner Badeseen, satte zehn Kilometer lang. Wie silberne Irrlichter huschen die Strahlen der Abendsonne über seine spiegelnde Wasseroberfläche und lassen die Augenlider schmale Sehschlitze formen.

Dafür, dass die Fahrt nur mal eben zur Tankstelle gehen sollte, bin ich schon weit gekommen. Aber dieses goldene Abendlicht ist einfach viel zu schade, um es ungenutzt verstreichen zu lassen. Der Tank ist frisch gefüllt, aber ob die siebzehn Liter an Bord der R 1200 C wohl für diesen Sommerabend reichen werden?

Vom Südostufer des Ossiacher Sees zieht es mich hinein ins obere Gurktal. »Himmelberg« ist auf einer der Ortstafeln zu lesen – wo man sich hier doch sowieso wie im selben fühlt.

Als ich mit beginnender Dämmerung auch zur Mitte Kärntens gefunden habe und über die Wiese beim Bodnerhof tu-ckere, sitzt meine Frau mit ihrem Buch und einem Glas Wein unter einem der alten Apfelbäume. Ein wunderschöner Platz, den sie sich mit rund einem Dutzend Katzenkindern und einigen glücklichen Hühnern teilt.

Die Retter – sie haben die BMW aus dem Loch gezogen.
Die Retter – sie haben die BMW aus dem Loch gezogen.

Angesichts dieser Bauernhofidylle ist mir klar, dass die Chance, Christiane am nächsten Tag auf das nicht gerade mit üppigen Dimensionen versehene Soziusbrötchen des Cruisers zu bekommen, gegen null geht. Zumal die freundliche Bäuerin vom Bodnerhof auch noch reichhaltig auftischt: Brot, Butter, Milch, Topfen, Marmelade, Honig, Wurst, Speck – alles vom Hof, selbst gemacht.

Nur den Hühnern muss sie noch gut zureden. Die haben nämlich, seit sie mit meiner Frau unterm Apfelbaum sitzen, ihre Pflichten außer Acht gelassen. So müssen nun die Frühstückseier für den nächsten Morgen noch her.

An dem starte ich nach einem opulenten Frühstück – mit Ei –, um im Ort mit dem treffenden Namen Treffen im »Treffnerhof« Freund Friedl zu treffen..

Gemeinsam ziehen wir los. Der Bogen um Villach ist schnell geschlagen. Am Wurzenpass habe ich dann alle Hände voll zu tun. Nur gut, dass ich anständig gefrühstückt habe. Während Friedl mit der GS lässig voraussegelt, tobt der Cruiser wild über den von dichtem Grün gesäumten Patchwork-Asphalt der steilen Rampe.

Gegen den sind selbst die gepflasterten und ruppigen Kehren am Vršič-Pass noch von harmloser Natur. Der mit 1611 Meter höchste Pass Sloweniens wurde während des Ersten Weltkrieges gebaut. »Für den Bergstraßenbau von Kranjska Gora über den Pass Mojstrovka (Vršič) bis zum Trenta-Tal engagierte das österreichische Militärkommando in den Jahren 1915 bis 1916 10.000 russische Kriegsgefangene.« So steht es geschrieben in einem ins Deutsche übersetzten Text an der so genannten Russischen Kapelle, einem kleinen, aus Holz erbauten Gotteshaus. Mit ihm wird der mehr als hundert der russischen Kriegsgefangenen gedacht, die bei diesem »Engagement« durch Lawinenabgänge und andere Umstände ums Leben kamen.

Noch eine kleine Weile, dann liegen diese dunklen Zeiten hundert Jahre zurück. Und es ist ein verdammt gutes Gefühl, hier und heute in dieser grandiosen Landschaft zwischen den westlichen Ausläufern der Karawanken und den Julischen Alpen in einem vereinten Europa unterwegs zu sein.

Unterwegs – doch nur so lange, bis mich dieses unsägliche Loch eingesogen hat. Aus dessen Tiefen reiche ich meinem Freund mit dem sorgenvollen Blick nun zunächst mal Handschuhe und Helm hoch. Schaffe es dann irgendwie, aus den Rucksackschlaufen zu kommen. Um dann letztendlich vom Bike zu steigen, um dieses Verlies zu verlassen, muss ich meine alten Knochen mächtig zusammenfalten.

Wenig später sind hilfreiche Menschen zur Stelle, die mit uns unter Zuhilfenahme eines Frontlader-Traktors den Cruiser zurück in die Waagerechte holen. Ich bin erleichtert, dass Friedls BMW die Shownummer so erstaunlich gut überstanden hat. Auf ihrem fetten hinteren Gummi aufsitzend, hat sie sich augenscheinlich nur leicht den Allerwertesten angekratzt. Wir können also unsere Fahrt entlang der Soča fortsetzen. Und – Ironie des Schicksals – die macht sich nur wenige hundert Meter weiter zwischen mächtigen Felsbrocken schön breit und lädt zum Bad. Doch diese Einladung schlage ich nun lieber aus. Das selbst jetzt im Hochsommer eiskalte Gebirgswasser würde bei meiner durch die Ereignisse extrem hohen Betriebstemperatur vermutlich schlagartig zum Kolbenklemmer führen.

Am Arzino unterhalb der Sella Chianzutan.
Am Arzino unterhalb der Sella Chianzutan.

Im netten 3000-Seelen-Städtchen Bovec machen wir eine kurze Rast. Finden an einem Obststand Pfirsiche, wie ich sie in Deutschland schon seit Jahrzehnten nicht mehr gegessen habe. Mit einer grau/rot/auberginefarbenen Schale, die so pelzig ist, dass man glaubt, in einen Angorapullover zu beißen. Aber ihr nahezu weißes Fruchtfleisch schmeckt einfach traumhaft.

Dieses Prädikat trifft auch auf den Boka-Fall zu. Unweit von Bovec stürzt sich Sloweniens höchster Wasserfall über zwei Stufen, 144 Meter tief und bis zu einer Breite von 18 Metern ins Sočatal. Das Besondere daran ist, dass er unmittelbar von einer Karstquelle gespeist wird, die in der Mitte der Felswand entspringt.

Ich lese auf der Ortstafel den Namen Kobarid, als Friedl zu einer Schleife ansetzt, deren Streckenführung mir für immer ein Geheimnis bleiben wird. Jedenfalls ist die übernächste Ortstafel eine italienische und keine slowenische mehr. Mein Kopf speichert Bilder von malerischen Dörfern und schmalen Asphaltpisten, die durch schattige Kastanienhaine führen. Wir sind im Friaul. Wedeln nun über den 663 m hohen Passo di San Martino, von dem ich nie zuvor gehört habe, der sich aber als echter Genuss entpuppt.

Zurück in Slowenien folgt zum Ausklang des Tages noch ein ganz besonderes Bonbon, die Mangartstraße. Nach meinem Geschmack eine der schönsten Bergstraßen der Alpen. Von ihrem Anfang auf der Ostrampe des Passo del Predil schlängelt sich die zwölf Kilometer lange Straße schmal und steil, mit engen Kehren und unbeleuchteten Tunnels bis auf 2055 Meter Höhe und bietet einen grandiosen Ausblick über die Gipfel der Julischen und Karnischen Alpen. Nach diesem Highlight ist der Passo del Predil, der im Anschluss folgt, eigentlich nur noch nett zum Ausrollen. Aber unten im Tal lässt sich am gleichnamigen See ein ausgezeichneter Cappuccino mit Seeblick schlürfen – schließlich sind wir hier wieder im Friaul.

Früh sind wir am nächsten Morgen schon auf den Beinen respektive Rädern. Sind die ersten Besucher dieses Tages im Gmünder Porsche-Museum und drehen eine schnelle Runde zwischen den Schöpfungen Ferdinand Porsches, der hier in Gmünd im Jahre 1948 mit dem Porsche 356 Nr. 1 Roadster seinen ersten Sportwagen gebaut hat. Zeit, die wir ohne Friedls Insiderwissen wohl vor einer roten Ampel verschwendet hätten. Denn die Maltatal-Hochalmstraße lässt nur ampelgeregelten Richtungsverkehr zu. Auf der fahrerisch anspruchsvollen, 14,4 Kilometer langen und von vielen Wasserfällen gesäumten Bergstraße haben wir nun freie Fahrt bis zu ihrem Ende am Kölnbreinspeicher. Beim Stopp an der mit 200 Meter höchsten Staumauer Österreichs geiert Friedl urplötzlich los. »Ich hätte gestern doch ein Foto schießen müssen«, drückt er zwischen zwei Lachkrämpfen heraus. »Nun, du solltest lieber heilfroh sein, dass ich dein Moped nicht hier auf der Staumauer gewendet habe – oder?«

In San Daniele, Stadt des Prosciutto.
In San Daniele, Stadt des Prosciutto.

Die übernächste rote Ampelphase passt noch für einen Großen Braunen – so etwas wie ein doppelter Espresso auf Kärntnerisch –, dann schnurren wir zurück ins Liesertal. Durch eine herrliche Almlandschaft, in der Feld- und Bundschuhbach mäandern, gelangen wir an den Oberlauf der Mur.

Unweit vom Prebersee, der sich ganz schüchtern in einer Senke in den südlichen Ausläufern der Schladminger Tauern versteckt, packt Friedl eine ordentliche Jause mit Kaminwurzen, Speck, Schinken, Bergkäse, Gurken und einem herzhaften Bauernbrot auf den Tisch. Da ist es schon ganz praktisch, dass mich der ruppige Asphalt zum stetigen Kampf mit dem Cruiser nötigt. So werden auf dem Weg zum Sölkpass gleich wieder ein paar Kalorien verbrannt. Obwohl ich auch nichts gegen ein kurzes Nickerchen in einer dieser saftigen Wiesen des malerischen Krakautales einzuwenden hätte. Aber wer weiß, da käme vielleicht wieder dieser Traum von Schwarzen Löchern – diesen Dingern, die Materie einsaugen …

Dann doch lieber ordentlich Gas geben. Und statt schwarz ist hier an der Turrach, an der Auffahrt zur Turracher Höhe, alles herrlich bunt. Es blüht entlang der Straße, des Baches, in den Wiesen, und an den Balkonen der Häuser hängen quadratmeterweise dichte Matten blühender Geranien. Auf dem Passscheitel in 1783 Meter Höhe breitet sich dann der Turracher See aus, von tiefblauer Farbe und umgeben vom größten Zirbenwald Eu­ropas.

Auch wenn’s schwerfällt, auf der Nock­almstraße wird mal nicht so viel in die Landschaft geschaut, sondern mehr auf das graue Asphaltband. Denn auch das hat einiges zu bieten. Nämlich 52 Kehren auf 34 Kilometern. Und die fahren wir gleich mal hin und zurück, was erstens den Spaß verdoppelt und zweitens die Maut von acht Euro relativiert. So gibt es die Kehre für schlappe 7,7 Cent, was man wohl als äußerst günstiges Angebot bezeichnen kann. Mit den 104 Kehren sind wir dann aber auch so richtig satt – aber nur für diesen Tag.

Schließlich starten wir am nächsten Morgen noch zum Prosciutto-Essen nach San Daniele, einer Kleinstadt im Friaul und Herkunftsort des weltberühmten San-Daniele-Schinkens. Er stammt von wenigen ausgesuchten Schweinerassen und unterliegt einem exakt festgelegten Herstellungsprozess, der mindestens zwölf Monate dauert und eine acht Monate oder länger währende Trockenzeit umfasst. Bei einmaligen und idealen Bedingungen für die Reifung des Schinkens, denn hier in San Daniele trifft trockene Luft aus den Alpen auf feuchtwarme Luft von der Adria.

Sogar Christiane hat sich für Prosciutto di San Daniele dann doch noch mit dem Soziusplatz des Cruisers anfreunden können. Allerdings musste ich ihr vor der Abfahrt in die Hand versprechen, auf dieser Tour nur ganz traditionell in der Waagerechten zu parken.

TF-Archiv

Artikel aus TOURENFAHRER 10/2011

TOURENFAHRER 10/2011

GPS-Daten Tag 1

Länge der Tour: 279,85 km
Dauer: 1 Tag
Zum Download

GPS-Daten Tag 2

Länge der Tour: 381,63 km
Dauer: 1 Tag
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GPS-Daten Tag 3

Länge der Tour: 351,52 km
Dauer: 1 Tag
Zum Download